Oratorium San Sebastiano
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Casale Marittimo: das mittelalterliche Dorf, das in der Zeit stillsteht

Casale Marittimo, ausgezeichnet mit der Orangen Flagge des Touring Club Italiano, offenbart sich in der Kirche Sant’Andrea, dem Palazzo della Canonica und dem Uhrturm, bis hin zur lebendigen Piazza del Popolo mit dem Oratorium San Sebastiano.
Wenn man in Casale Marittimo ankommt, hat man sofort das Gefühl, ein Dorf zu betreten, das seine Authentizität bewahrt hat. Klein, überschaubar und gepflegt, empfängt es mit stillen Gassen, gepflegten Steinhäusern und dem natürlichen Rhythmus des Lebens, das sich noch immer auf dem Platz abspielt.

Auf einem Hügel nur wenige Kilometer vom Meer entfernt thront Casale Marittimo über der Etruskischen Küste mit seinem zeitlosen Charme: ein Steindorf, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwebt, wo mittelalterliche Mauern, römische Spuren und gepflasterte Gassen mit der einladenden Atmosphäre einer Gemeinschaft verschmelzen, die ihre Identität über die Jahrhunderte bewahrt hat.

Ausgezeichnet mit der Orangen Flagge des Touring Club Italiano, die für touristische und ökologische Qualität steht, gilt Casale Marittimo als Vorzeigedorf, dank der Pflege seines historischen Zentrums, dem Schutz der Landschaft und des Reichtums seines kulturellen Erbes.

Die Geschichte von Casale Marittimo reicht bis in die Antike zurück. Das Gebiet war bereits in der etruskischen Zeit besiedelt, wovon Nekropolen und Funde zeugen, die heute im Archäologischen Museum von Cecina aufbewahrt werden. Später wurde es zu einer römischen Villa, und erst im Mittelalter entwickelte es sich zu einer befestigten Burg, um die herum die Siedlung entstand.

Noch heute spürt man beim Spaziergang durch die Gassen diese historische Schichtung: römische Kapitelle, die zu Weihwasserbecken umfunktioniert wurden, mittelalterliche Bögen, die unerwartete Ausblicke eröffnen, und Renaissancepaläste, die mit zeitgenössischer Kunst in Dialog treten.

Das Parken ist einfach: Direkt außerhalb des historischen Zentrums fanden wir einen praktischen, kostenlosen Platz, der perfekte Ausgangspunkt, um zu Fuß durch die gepflasterten Straßen ins Herz des Dorfes zu gelangen.

1. Die Kirche Sant’Andrea

Unser Eintritt in Casale wurde von der Kirche Sant’Andrea geprägt, die mit ihrer schlichten und zugleich eleganten Fassade hervorsticht. Obwohl das heutige Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert stammt, ist seine Seele wesentlich älter: An dieser Stelle befand sich einst eine mittelalterliche Pfarrkirche, die beim Erdbeben von 1871 zerstört wurde. Der Wiederaufbau bewahrte einen schlichten, aber symbolträchtigen Charakter.
Der Glockenturm birgt eine Skulptur, die das Boot der Menschheit darstellt, das am Kreuz verankert ist, ein kraftvolles Sinnbild für Erlösung und Glauben. Im Inneren fällt sanftes Licht auf die bemalten Holzträger und bildet einen Kontrast zu den leuchtenden Fresken, die in den 1980er-Jahren vom lucchesischen Maler Stefano Ghezzani geschaffen wurden.

Kirche Sant'Andrea
Kirche Sant’Andrea
Glockenturm der Kirche Sant'Andrea
Glockenturm der Kirche Sant’Andrea

2. Der Palazzo della Canonica

Folgt man den gepflasterten Gassen, gelangt man zum Palazzo della Canonica, einem Gebäude, das das Auge täuscht: Auf den ersten Blick wirkt es wie aus dem 15. Jahrhundert, tatsächlich jedoch wurde es 1940 errichtet. Seine Besonderheit liegt in den Materialien: Steine, Kapitelle und Türpfosten der römischen Villa nahe dem Gut La Pieve wurden wiederverwendet, sodass der Palast nicht nur harmonisch ins mittelalterliche Ortsbild passt, sondern auch zum Symbol der historischen Schichtung von Casale wird.
Auf dem kleinen Platz vor dem Palast steht die Bronzeskulptur Kleines Paar auf einem Parallelepiped (1997) von Giuseppe Bergomi. Zwischen den Steinmauern platziert, schafft sie einen eindrucksvollen Kontrast, der zeitgenössische Kunst mit der historischen Substanz des Dorfes verbindet. Dies ist eine der Stationen des Projekts „Arte diffusa sulla costa toscana“, das sich durch Casale Marittimo zieht: von hier bis zur Piazza del Popolo, wo im Oratorium San Sebastiano die Skulptur Colazione a letto (2024) zu sehen ist, die den Künstler mit seiner Frau, seinen Töchtern und Enkelinnen darstellt – eine Hommage an drei Generationen seiner Familie, und schließlich bis zum Coppaio, wo das Bronze­werk Ilaria e Valentina su parallelepipedo (2003) in einem Panorama­platz steht, von dem aus sich der Blick über Himmel, die üppige Landschaft und das Meer verliert.

3. Der Uhrturm und das Haus des Camarlingo

Nachdem wir das Herz des Dorfes erkundet hatten, führte uns unser Weg zum Rand des ältesten Viertels, das die Einheimischen noch immer „Castello“ nennen. Hier erhebt sich der Uhrturm, der 1854 an der Stelle eines der mittelalterlichen Tore errichtet wurde: Heute markiert er symbolisch die Grenze zwischen dem historischen Zentrum und der Weite von Landschaft und Meer.
Daneben befindet sich das Haus des Camarlingo, eines der ältesten Gebäude des Ortes. Im Mittelalter war hier der Finanzverwalter der Gemeinde untergebracht – eine zentrale Figur im zivilen Leben von Casale. Seine massiven, schlichten Mauern erinnern an die strategische Bedeutung, die das Dorf einst als befestigter Stützpunkt hatte.

Uhrturm
Uhrturm
Blick von Casale Marittimo
Blick von Casale Marittimo

4. Die Piazza del Popolo und das Oratorium San Sebastiano

Eine Rampe führt uns zur Piazza del Popolo, dem sozialen und kulturellen Zentrum von Casale Marittimo. Dieser kleine, aber lebendige Platz mit Cafés, Restaurants und Außentischen ist der ideale Ort, um innezuhalten und das Leben zwischen Einwohnern und Besuchern zu beobachten.

Am Platz erhebt sich das Oratorium San Sebastiano, eine weitere Station der Ausstellung Arte diffusa sulla costa toscana. Diese kleine, intime Kirche beherbergt Colazione a letto (2024), eines der neuesten Werke von Giuseppe Bergomi. Die Skulptur, die den Künstler zusammen mit seiner Frau, seinen Töchtern und Enkelinnen darstellt, ist eine Hommage an drei Generationen seiner Familie: eine große Figurengruppe, die an ein Floß–Mausoleum erinnert und die Lebensalter symbolisiert. Ihre Präsenz im Oratorium schafft einen kraftvollen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart und stärkt die Rolle von Casale als lebendige Bühne der Kunst- und Kulturszene.

Wir beendeten unseren Spaziergang auf der Piazza del Popolo, sitzend im Schatten mit einem erfrischenden Chinotto und Tonic Water. Dort trafen wir Norbert, einen deutschen Touristen, der seit Jahren mit seiner Familie hier Urlaub macht und sich in das Dorf und seine Ruhe verliebt hat, sowie Luigi, einen Unterwasserfotografen, der derzeit durch Italien reist, um die schönsten Dörfer festzuhalten.

So konnten wir die Magie von Casale Marittimo erleben: ein zeitloser Ort, der sich beim Schlendern durch die Gassen Schritt für Schritt erschloss und in uns den Wunsch geweckt hat, zurückzukehren. Vielleicht bei Sonnenuntergang, wenn das warme Licht die Steinmauern des Dorfes streichelt und die Landschaft bis zum Meer in intensive Farben taucht